Kardinal Fernando Filoni begleitet den Papst vom 5. bis 8. März in den Irak

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Intervista_Card_Filoni In den letzten Tagen haben viele Journalisten (La Croix, National Catholic Register, argentinische Agentur Telam, Wall Street Journal, Vatican News, La Stampa, Le Figaro, EWTN, Agentur ACI Stampa, Agentur Rome Reports, France Inter...) um ein Treffen mit Kardinal Filoni gebeten, um die Situation der Kirche im Irak besser zu verstehen. (Photo courtesy: EWTN)

Als ehemaliger Nuntius im Irak (2001-2006) hatte er den Heiligen Vater 2014 in diesem Land vertreten, um die vom Krieg betroffene Bevölkerung vor Ort zu unterstützen. Wir veröffentlichen hier ein Interview des Großmeisters des Ordens mit Paula Rivas von den Päpstlichen Missionswerken in Spanien, das zusammenfasst, was Kardinal Filoni am Vorabend dieser historischen Reise in den Medien gesagt hat.

 

Sie waren 5 Jahre lang Nuntius im Irak, da der Vatikan beschlossen hatte, Sie während des zweiten Golfkrieges dort im Amt zu lassen. Was war Ihre Erfahrung?

Am 19. März 2001, dem liturgischen Fest des Heiligen Josef, weihte mich Papst Johannes Paul II. im Petersdom zum Bischof und bat mich, ihn im Irak zu vertreten. An diesem Tag bat er mich in seiner Predigt, die christlichen Gemeinden in diesen Gebieten zu unterstützen, und fügte hinzu: „Ich bin sicher, dass Sie für diese Menschen ein Bote des Friedens und der Hoffnung sein werden.“ Diese Worte habe ich immer in meinem Herzen getragen. Als auf den Tag genau zwei Jahre später, am 19. März 2003 der Zweite Golfkrieg begann, dachte ich, dass der Frieden tödlich verwundet worden ist, die Hoffnung aber lebendig bleibt. Indem ich im Irak bei seinem Volk blieb und seine Ängste teilte, konnte ich also immer noch ein Bote der Hoffnung sein.

Da war die Trauer über so viele Tote und so viel Zerstörung, und man konnte sich nicht hinter dem Schatten des sogenannten „Präventivkrieges“ verstecken, geschweige denn hinter dem Schatten der angeblichen „Begleitschäden“, um von den Opfern in der Zivilbevölkerung zu sprechen. Was bedeuten solche Ausdrücke denn noch, wenn Sie unter den Bomben sind und die Raketen explodieren hören? Die Folgen dieses Krieges waren kolossal, einschließlich des Massenexodus vieler christlicher Familien und eines sehr prekären Zusammenlebens. Vergessen wir neben der Zerstörung auch die zahllosen Toten und Verwundeten nicht, die es sowohl auf irakischer Seite als auch auf der Seite der Länder gab, die in den Krieg eingetreten waren, wie die USA, Großbritannien usw.

 

Doch ich möchte noch einmal auf die Frage des so genannten „Präventiv“-Krieges zurückkommen, gegen den Johannes Paul II. am Sonntag zuvor beim Angelus seine Stimme und seinen Finger erhoben hatte. Damals sprachen die Medien im Irak und in anderen muslimischen Ländern, die gegen den Krieg waren, von „westlichen Kreuzfahrern“, zwei abwegigen Begriffen, die beim Widerstand der Medien missbraucht wurden. Das Recht sieht den „Präventiv“-Krieg nicht als Maßnahme vor. Wir nahmen die Illegalität dieses Krieges klar und deutlich wahr, und für uns persönlich war die Entscheidung, trotz des drohenden Krieges im Irak zu bleiben, eine Antwort und eine Form des Protestes gegen einen solchen Anspruch. Zudem hatte die UNO der irakischen Bevölkerung bereits vorsorglich wirtschaftliche und militärische Beschränkungen auferlegt. Was den Begriff „Kreuzfahrer“ betrifft, so sollte er in der islamischen Welt den Hass auf unschöne komplexe und umstrittene historische Erinnerungen wecken. Der Besuch von Papst Franziskus stellt einen Schritt nach vorne dar, sowohl in Bezug auf die „politische“ Rechtfertigung des Krieges als auch auf die „religiöse“ Theoretisierung in die Vergangenheit hinein. Die Entscheidungen von Abu Dhabi finden heute im Irak einen fruchtbaren Boden, d.h. einen Boden für den Dialog, für die Brüderlichkeit und das Recht, denn es geht um den Frieden – vor allem in einem von Kriegen und Guerillas verwüsteten Land und in einer Region der Gegensätze – und um ein gemeinsames Zusammenleben, das auf der Würde und den gleichen Rechten und Pflichten aller Menschen beruht. Diese Elemente müssen jedoch von einem kulturellen Standpunkt aus verinnerlicht und in die Praxis umgesetzt werden, sowohl im katholisch-christlichen Bereich als auch im muslimischen und politischen Bereich.

 

Sie wurden von Papst Franziskus erst 2014 und dann 2015 wieder in den Irak geschickt, um die Nähe und Solidarität des Papstes auszudrücken. Was haben Sie dort vorgefunden? Wie hatte sich das Leben der Christen verändert? Was hat Ihre Anwesenheit dort für sie bedeutet?

Der Sommer 2014 war für die Menschen im Nordirak dramatisch. Die Ausrufung des Kalifats in Mosul durch Abu Bakr al-Baghdadi führte zur Vertreibung aller Christen aus der Stadt Mosul und der Ninive-Ebene. Tausende von Menschen waren gezwungen zu fliehen ohne etwas mitnehmen zu können außer der Kleidung, die sie trugen. Es gab keine Rücksicht auf Alte, Kinder, Frauen oder Kranke. Es war ein echter biblischer Exodus. Der yezidischen Gemeinschaft in den Bergen von Sindschar widerfuhr jedoch noch Schlimmeres. Wer nicht geflohen war, wurde umgebracht, und die Frauen wurden als Sklaven verkauft. Am 10. August sandte mich Papst Franziskus als seinen persönlichen Vertreter in den Irak (er selbst trat eine Pastoralreise nach Korea an, an der auch ich hätte teilnehmen sollen): Mein Auftrag bestand darin, mit den Menschen zusammenzukommen, mit ihnen zu sprechen, zu sehen, zu loben, zu beten und die Solidarität mit dem großen, unsäglichen Leid auszudrücken, die der Fanatismus des Islamischen Staates angerichtet hatte. Ich habe schockierende Erinnerungen und Bilder. Aber auch die Erinnerung an außerordentlich würdige Menschen, die angesichts des Untragbaren in der Lage waren, die Befriedigung der Grundbedürfnisse zu organisieren und das Vertrauen zu Gott zu bewahren. Ich war wirklich erleuchtet von ihrem Glauben, der in den unzähligen Prüfungen so stark wurde, die sie im Laufe der Jahrhunderte auf sich nehmen mussten, um ihr spirituelles Erbe zu bewahren. Ich erinnere mich, dass ich als Nuntius manchmal dachte, wenn ich ihre Dörfer besuchte, dass ich im Westen keine solche Liebe und keinen solchen Glauben gefunden hatte. Als ich 2015 zur Karwoche und zu Ostern in den Irak zurückkehrte, wollte ich unseren Gläubigen sagen, dass wir sie nicht vergessen haben, und ich brachte ihnen sechstausend Ostertauben (italienisches Gebäck), ein Geschenk genauso vieler Gläubigen aus Rom.

 

Was hat Sie dazu gebracht, Ihr Buch zu schreiben: Die Christen im Irak. Ihre Geschichte von den Anfängen bis heute, 2016 auf Deutsch im Camiso-Verlag erschienen?

Mit diesem Buch wollte ich bezeugen, dass „diese Gemeinschaften jahrhundertelang dem Druck von Steuern und Auflagen, Zwangsehen und Verboten, Diskriminierung und Hass, Intoleranz und Missgunst und schließlich auch der Verfolgung standgehalten haben“ (Einleitung). Ich wollte die Geschichte dieser Menschen bekannt machen, die wenig bekannt, aber reich an Glauben, Werten, Kultur und das Erbe von Märtyrern und Bekennern des Glaubens ist. Nur wenn man in diesen Gemeinschaften lebt, kann man ihre Schönheit erfassen, und ich bin sehr froh, dass ich diese Gelegenheit hatte. Wir sollten niemals die Ostkirchen vergessen, die zahlenmäßig zwar klein, doch groß sind durch die geistlichen Gaben, deren Hüter sie sind.

 

Haben Sie derzeit Beziehungen zu Christen im Irak? Was kann dieser Besuch des Papstes den Christen im Irak bringen?

Ja, ich habe viele Freunde unter den Christen, aber ich habe auch viele Muslime kennen gelernt, die mir Wertschätzung und Achtung bezeigt haben. Die Tatsache, dass ich eine dunkle Seite ihrer Geschichte mit ihnen geteilt habe, wirkt weiter und bringt immer noch Erinnerungen und eine Wertschätzung, die nie verblassen. Ich erinnere mich sowohl an die Telefonanrufe von Johannes Paul II. während des Krieges, der mir sagen wollte, wie nahe er mir war, als auch an die Treffen mit islamischen Führern und einfachen Menschen. Einige von ihnen wollten mir am Ende meines Einsatzes im Irak (2006) zum Andenken einen Ring und ein Bischofskreuz schenken, die sie selbst gemacht hatten. Auch in den folgenden Jahren besuchten sie mich.

Mit der Verfassung eines Buches über die Geschichte der Kirche im Irak von ihren Anfängen bis heute wollte ich meine ganze Zuneigung und Bewunderung ausdrücken. Es ist kein Zufall, dass die chaldäische Kirche mein Buch ins Arabische übersetzen wollte, denn das war eine konkrete Möglichkeit, einer breiten – auch nicht-christlichen – Öffentlichkeit Informationen zu vermitteln, die sonst nicht bekannt wären. Dieses Buch wird von den zivilen Autoritäten geschätzt, und ich glaube, dass es dazu beiträgt, die Brüderlichkeit zwischen allen zivilen und religiösen Einheiten zu fördern, die schon immer in diesem Land zusammengelebt haben.

 

 

(März 2021)