Die Fastenbotschaft des Großmeisters

„Die großen Versuchungen Jesu sind immer auch die unseren“: Lassen wir uns in dieser Fastenzeit von Ihm nach Jerusalem führen.

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Duccio_di _Buoninsegna_Tentazione di Cristo_QUARESIMA-NEW Zu Beginn der Fastenzeit möchte sich der Großmeister an alle Mitglieder des Ordens wenden und lädt sie ein, die Botschaft des Heiligen Vaters zu lesen: „Siehe, wir gehen nach Jerusalem hinauf...“ (Mt 20,18). Fastenzeit – eine Zeit der Erneuerung von Glaube, Hoffnung und Liebe“ die unseren Blick auf den Weg ausrichtet, der uns durch diese vierzig Tage zu dieser Stadt führt, die den Ordensrittern und Ordensdamen so sehr am Herzen liegt.

Wir bereiten uns nunmehr darauf vor, in die Fastenzeit einzutreten. Nach einem Jahr, in dem wir persönlich mit Herausforderungen unterschiedlichen Ausmaßes konfrontiert waren, die für uns eine Erfahrung jener Wüste waren, in die Jesus sich zurückgezogen hat, wollen wir die Einladung unseres Großmeisters annehmen, diese sechs Wochen zu nutzen, die uns die Kirche anbietet, um uns vom Wort Gottes zu ernähren, um von Neuem in Ihm und nur in Ihm unseren Felsen zu erblicken, um die Versuchungen anzuschauen, mit denen jedes menschliche Leben fertig werden muss, und um uns zu den Antworten hinführen zu lassen, die wir zu geben haben. Folgen wir als Ritter und Damen den Spuren Jesu in der Wüste und dann auf dem Weg nach Jerusalem und richten wir unseren Blick unbeirrt auf das, was Kardinal Filoni „den Anhaltspunkt für den Weg durch die Fastenzeit“ nennt: das leere Grab.

 

Treten wir in der Nachfolge Jesu in die Fastenzeit ein. Hören wir dabei nicht nur auf den Klang seiner Stimme, sondern auf sein Wort und lassen wir uns von seinem Vorbild inspirieren.

Im Leben eines Christen muss dieser immer irgendwann einen Weg gehen, der nicht vermieden werden kann. Der Sinn, den wir unserem Leben geben wollen, gibt die Richtung vor, während wir durch unsere Handlungen den Weg begehen. Man kann freilich leben, ohne seinem Leben einen Sinn zu geben und ohne die Anstrengung auf sich zu nehmen, einen solchen zu suchen! Aber man kann auch leben, indem man ihm einen Sinn gibt oder ihn sucht, wie es viele Männer und Frauen getan haben, die ihr Leben geändert haben. Es geht nicht um eine auferlegte Wahl, sondern um die Zustimmung zum Angebot des Glaubens, der auf Christus ausgerichtet ist.

Der Weg durch die Fastenzeit wird uns von der Kirche für die nächsten sechs Wochen anvertraut, die mit dieser Zeit des liturgischen Jahres zusammenfallen: Es ist eine Zeit, die durch das Geheimnis des Leidens und Sterbens Jesu hindurch zum Osterfest führt. Eine heilbringende Zeit für alle.

Die Fastenzeit erscheint uns dann als eine christologische Zeit: Eine Zeit nach dem Vorbild der vierzig Tage, die der Herr zurückgezogen in einer Wüstengegend verbrachte, nach dem Vorbild von Mose und Elia, die ebenfalls Einsiedler des Ewigen Herrn waren. Jesus legt also die Arbeit als tägliche Anstrengung beiseite, er legt Zuneigungen und Beziehungen beiseite und ernährt sich vierzig Tage lang vom Wort Gottes, um sich bezüglich der „Sicherheit“ in Versuchung führen zu lassen, die wir instinktiv in unserem Leben und in seinem Inhalt (dem Brot) suchen, sowie bezüglich des Glaubens (wo ist Gott?) und bezüglich der Einflüsterungen der unersättlichen Verehrung des eigenen Ichs. In diesen Versuchungen sind alle Kämpfe unseres Daseins verdichtet da: Wir befinden uns am Knotenpunkt unserer Existenz.

Diese vierzig Tage bereiteten Jesus in einer unmittelbaren Phase auf den Auftrag vor, der ihn erwartete: Diese „geistlichen Einkehrtage“ waren notwendig, um ein Leben zu verlassen, das bis dahin verborgen, scheinbar banal oder zumindest nicht anders als so viele andere war. Angesichts der sehr starken Spannungen, die jeden Mann und jede Frau im Leben plagen, bereitet Jesus seine Antwort auf Brot, Macht oder Erfolg vor.

Bei uns ist das nicht anders. Wenn ich zurückdenke, hat die COVID uns alle seit einem Jahr einander nähergebracht durch eine Lebensweise, die der Fastenzeit gleicht, die unseren friedlichen Weg durcheinander gebracht hat und die die Kontrolle über den beruhigenden Weg der Technologien und unserer Fähigkeiten übernommen hat. Wir wurden bezüglich der Sicherheit des Brotes/der Arbeit in Versuchung geführt, wir wurden versucht, uns von Gott zu entfernen, wir wurden bezüglich der Demütigung unseres Lebens und unserer Freiheit in Versuchung geführt. Kurz gesagt, die großen Versuchungen Jesu sind immer auch die unseren.

Die Fastenzeit erinnert uns also an diesen Kampf des Herrn: Ein Kampf, der nie enden wird und der in jedem Winkel unserer Existenz gegenwärtig ist. Ein Kampf, der auch für die Menschheit in verschiedenen Formen weitergeht. Ja, dieser Kampf wird sogar immer wieder auf dramatische Weise zurückkehren, wie es bei Jesus der Fall war, der noch im Ölgarten und am Kreuz versucht wurde. Auf Golgatha entstand jedoch der neue Tempel des neuen Jerusalem, und die letzte Antwort Jesu wird das leere Grab sein. Das leere Grab ist der Anhaltspunkt für unseren Weg durch die Fastenzeit.

Die Fastenzeit lädt uns ein, uns zu bekehren und an das Evangelium zu glauben, gemäß der Verkündigung des Herrn: „Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um und glaubt an das Evangelium!“ (Mk 1,15) Außerdem ermahnt er uns, Nächstenliebe zu üben, gemäß der Lehre von Johannes dem Täufer: „Wer zwei Gewänder hat, der gebe eines davon dem, der keines hat, und wer zu essen hat, der handle ebenso!“ (Lk 3,11) Er regt uns zum Gebet an, dessen Grundlage die Gegenwart Gottes ist, dessen Inhalt das das ganze Leben ist, auch die schmerzlichen Erfahrungen, und dessen Gestalt die liebende Vereinigung mit Christus ist.

 

Fernando Kardinal Filoni

 

(15. februar 2021)

 

 

BOTSCHAFT VON PAPST FRANZISKUS  ZUR FASTENZEIT 2021